Dresdner Kanalisationsgeschichte 28

Blick in einen historischen Kanal

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Teil 28: Das Kanalnetz in der Nachwendezeit t (II)

Durch die politische Wende und die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 wurde es möglich, aus den Resten der DDR-Abwasserwirtschaft etwas Neues aufzubauen. Viele, nach der Aufteilung des VEB WAB Dresden dem Dresdner Abwasserbereich zugeordnete Mitarbeiter und neu eingestellte Kolleginnen und Kollegen, darunter nicht selten Quereinsteiger, gingen mit Tatkraft den anstehenden Problemen zu Leibe. Man wollte schnelle Veränderungen und so wurden auch offene Briefe an das zuständige Ministerium, die WAB-Direktion und auch den Oberbürgermeister geschrieben, Missstände benannt und Forderungen nach mehr Lohn, aber auch nach strukturellen Veränderungen und einem neuen, offeneren Leitungsstil erhoben.

 Bildung des Technischen Abwasser-Bereiches

Das Gelände der KA Kaditz war 1990 verwahrlost und eine Baustelle. Erst 1991 gingen die mechanische und Teile der biologischen Reinigung der KA in Betrieb. 1991 erfolgte der Kauf bzw.  die Übertragung der Flächen und Gebäude des aufgelösten Forschungszentrums Wassertechnik (Gebäude F, G und H). Auch etliche Mitarbeiter des FZWT wurden übernommen, allen voran Rainer Wiesinger als neuer Bereichsleiter. Der Aufbau eines modernen Kanalnetzbetriebes begann. Neue Organisationsstrukturen, die teilweise bis heute bestehen, gab es dann 1995 in Umsetzung der Vorschläge der Unternehmensberatung Kienbaum. Ende 1991 erfolgte die Bildung eines eigenen Meisterbereichs (MB) Bau mit Sitz in Kaditz. Das bedeutete, dass nach Ende der DDR-Mangelwirtschaft erstmals wieder Kanal- und Schachtreparaturen aus eigener Initiative durchgeführt werden konnten. Die aus Hamburg gespendete Spezialtechnik wurde – zusammen mit dem vorhandenen Altbestand an Technik – in einem eigenen MB konzentriert und in Halle H untergebracht. Die Reinigung des nicht begehbaren Kanalnetzes begann. Erste TV-Untersuchungen durch eigenes Personal und vertraglich gebundene Firmen, darunter die gerade gegründete Firma Berndt, folgten.

PC-Technik hält Einzug

Bereits in den letzten Jahren der DDR gab es ein Projekt zum Aufbau eines Netzinformations-systems. Projektleiter Ralf Dymak hatte 1989 bereits 120 Kanalkilometer digitalisiert. Letztlich wurde das Projekt aber verworfen und ab 1994 erfolgte unter Leitung von Olaf Böhm ein Neustart. Nach drei Jahren waren die analogen Leitungspläne digitalisiert. Der Gang in die Plankammer wurde überflüssig, weil man sich den ca. 1500 Kilometer umfassenden Netzbestand auf dem Monitor anschauen und projektbezogen ausplotten lassen konnte – ein gewaltiger Fortschritt, der auch die kontinuierliche Fortschreibung der Bestandsdaten ermöglichte. Es schlossen sich danach noch ca. 10 Jahre der Nachvermessung und Datenüberprüfung an, bis ein vorläufiger Endstand erreicht war.  Heute wird von Wissenstransfer gesprochen, wenn bei der Übergabe von Know-how durch in Ruhestand gehende Kollegen an deren Nachfolger Kontinuität gewährleistet werden soll. Anfang der 90er Jahre gab es das so gut wie nicht, da kaum Alte da waren, die etwas hätten übergeben können. In vielen Fragen tappte man im Dunkeln und musste sich Erkenntniszuwächse Schritt für Schritt erarbeiten. So war es auch bei Fragen der hydraulischen Auslastung des Kanalnetzes oder nach den Mischwasserabschlägen über die Regenüberläufe. Das änderte sich, als ab 1991 verschiedene Ingenieurbüros teileinzugsgebietsweise hydraulische Kanalnetzmodelle erstellten. Um Vertrauen in die Berechnungsergebnisse zu gewinnen, fand 1995 eine große Messkampagne mit 40 temporär eingerichteten Wasserstandmessstellen statt. Die Ergebnisse dienten der Modellkalibrierung. 1994 erfolgten Schmutzfrachtberechnungen, 1999 lag erstmals ein hydraulisches Gesamtnetzmodell vor.

 

Baureparaturen, Investitionen und verbesserte Arbeitsbedingungen

Auf der Grundlage der ersten Kanalvideos begannen ab 1993 grabenlose Reparaturen. Die entsprechende Technik war damals noch jung, aber schon praxisreif. 1995 wurden mehrere Rahmenverträge mit Service- und Baufirmen abgeschlossen, auch für die haltungsweise Renovation mit Schlauchlinern. Für Kanalreparaturen in offener Bauweise gab es bereits seit 1992 Rahmenverträge. Nach dem Ende der Grundreinigung der Abfangkanäle wurden ab 1995 mit erheblichem finanziellem Aufwand fünf Schlammräumschächte entlang des linken Elbufers errichtet. Diese erwiesen sich leider bald als Fehlinvestition, denn die wieder aufgenommene Erhaltungsreinigung mit Stauwagen und leistungsfähigen Hochdruckspül- und Saugfahrzeugen gewährleistete, dass sich keine größeren Ablagerungen mehr entwickelten. Die Schächte wurden im Zuge der ab 2004 beginnenden Abfangkanalsanierung wieder beseitigt.  Stück für Stück verbesserten sich auch die Arbeitsbedingungen der Kanalarbeiter. Für die, in prekären Verhältnissen auf dem Stützpunkt Weißeritzstraße, untergebrachten Kollegen des MB West, begann 1995 mit der Fertigstellung des Stützpunktes Flügelweg eine neue Ära. 2001 folgte der neu errichtete Stützpunkt Niedersedlitzer Straße für den MB Ost.

Das erste Pumpwerk im Dresdner Kanalnetz

Heute klingt es vielleicht unglaubhaft, aber bis 1994 existierte im Dresdner Kanalnetz kein einziges Abwasserpumpwerk. Dies änderte sich, als im Februar 1994 das marode Emscherbrunnen[1]Kläranlage in Stetzsch zu einem solchen umgebaut wurde und gemeinsam mit der Abwasserüberleitung aus Radebeul-Ost in Betrieb ging. Die Planung und Bauüberwachung erfolgte durch das in Dresden ansässig gewordene Ingenieurbüro ACI. Mit dem Projekt verbunden war auch die Kanalisierung von Altkaditz. Sie stellte nur eines der seit 1992 in Szene gesetzten Kanalnetz-Projekte dar, in die bis zum Jahr 2002 rund 383 Mio. EUR flossen.

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.