Gewappnet für die nächste Flut

Vor 20 Jahren ging im Klärwerk Kaditz nichts mehr.

Die Natur ist unberechenbar. Das weiß Geschäftsführer Ralf Strothteicher aus Erfahrung. Schließlich hat die Stadtentwässerung mehrmals deutlich die Konsequenzen gespürt. Besonders hart war das Klärwerk Kaditz im August 2002 erwischt worden. Damals war das Unternehmen nicht darauf vorbereitet. Das Klärwerk, aber auch Pumpwerke und andere Abwasseranlagen wurden beschädigt oder zerstört. Die Schäden beliefen sich auf rund 46 Millionen Euro.

innen eines Jahres wurden spezielle Hochwasserschutzkonzepte fürs Kanalnetz, fürs Klärwerk und für die Pumpwerke erarbeitet. „Die haben wir weitgehend umgesetzt“, sagt Strothteicher.  Seitdem hat die Stadtentwässerung rund 26 Millionen Euro für den Hochwasserschutz investiert. Er erklärt, was unternommen wurde.

Schotten dicht: Absperrschieber an der Elbe

Sind der Alt- und der Neustädter Abfangkanal bei Starkregen zu voll, fließt stark verdünntes Abwasser durch Überläufe in die Elbe. Deshalb wurden beim Bau um 1910 Hochwasser-Schieber installiert, die die Verbindung absperren. „Nach der Flut 2002 haben wir 73 weitere Hochwasserschieber eingebaut, die teilweise bereits ab einem Elbpegel von 3,5 Metern geschlossen werden“, erklärt Strothteicher. Dann kommt kein Elbwasser in den Kanal, es kann in diesem Extremfall allerdings auch kein Abwasser mehr überlaufen.

Die Flutlösung: Hochwasserpumpwerke

Auch bei Starkregen und Hochwasser soll das an den Überläufen abgesperrte Kanalnetz weiter funktionieren. Dann strömt aber deutlich mehr stark verdünntes Abwasser durch die Hauptkanäle. Hochwasser-Pumpwerke sollen sie vor dem Kollaps schützen.

Rund 18 Millionen Euro hat die Stadtentwässerung für zwei derartige Anlagen investiert. 2010 war das leistungsfähigste Hochwasserpumpwerk für den Altstädter Abfangkanal am Käthe-Kollwitz-Ufer fertiggestellt worden. Dort können im Ernstfall bis zu 18.000 Liter je Sekunde in die Elbe gepumpt werden. Bereits 2008 war das Flutpumpwerk in Altstetzsch übergeben worden.

Die Staulösung: Regenüberlaufbecken und Stauschieber

Damit das Kanalnetz bei Starkregen nicht überlastet wird, können insgesamt 96.000 Kubikmeter Abwasser gestaut werden. Die erste Variante sind fünf Regenüberlaufbecken. Das größte davon befindet sich mit einem Fassungsvermögen von 24.000 Kubikmetern auf der Kaditzer Kläranlage. Die Regenüberlaufbecken funktionieren wie folgt. Regnet es stark, läuft mit Regenwasser vermischtes Abwasser in das Becken. Dort setzt sich Schlamm ab, sodass etwa ein Drittel bis die Hälfte der Schmutzstoffe mechanisch entfernt wird. Das so gereinigte Abwasser fließt dann durch einen Überlauf in Elbe, Lockwitz, Lotzebach beziehungsweise Prießnitz. Ist der Regen vorbei, kann das Abwasser in den Kanal abgelassen oder abgepumpt werden.

Bei der zweiten Variante wird das Speichervolumen des Kanalnetzes genutzt. Dafür sind an elf Stellen Steuerbauwerke errichtet worden. Bis auf eine Ausnahme handelt es sich dabei um Schieber, die den Kanal soweit absperren, dass nur noch ein kleiner Teil des Abwassers weiterfließen kann. Jedes derartige Bauwerk hat eine programmierte elektronische Steuerung. Schließlich darf der Kanal nicht zu voll werden. Ist der maximale Wasserstand erreicht, öffnet sich der Schieber und das Abwasser kann abfließen.

Zwischen 2018 und 2020 hat die Stadtentwässerung ein unterirdisches Trenn- und Steuerbauwerk unter dem Rathenauplatz an der Carolabrücke errichtet, verweist Strothteicher auf den jüngsten Neubau. Es ist 15 Meter lang und hat ein 2,50 Meter hohes Wehr, das teils beweglich ist. Dort können bis zu 4.100 Kubikmeter Abwasser in einem großen Kanal gestaut werden.

Damit Kanäle bei Starkregen nicht durch Gullys überlaufen, wurden außerdem 140 verschließbare Schachtdeckel eingebaut.

Der Flutschutz: Höher Deich schützt Klärwerk

Die Landestalsperrenverwaltung (LTV) bereitet derzeit den Flutschutz für die Übigauer Insel vor. Dabei soll der Teil zwischen Autobahn und Flügelwegbrücke mit dem Klärwerk geschützt werden. Geplant ist, dass der rund 1,4 Kilometer lange Deich um maximal einen Meter erhöht wird. Im Deich wird eine Innendichtung, die zwischen 13 und 15 m in den Untergrund reicht und die für die Gewährleistung der Grundwasserbewegung nötige hydraulische Fenster haben soll, eingebaut.

Derzeit läuft das Genehmigungsverfahren. Für die Vorbereitungen zum Bau sind erfahrungsgemäß noch mal zwei bis drei Jahre nötig. Dazu gehören die Ausführungsplanung, das Vergabeverfahren und die Klärung der Verfügbarkeit für die beim Bau benötigten Grundstücke. Frühestens 2025 könne der Bau beginnen, teilt Birgit Lange mit, die den LTV-Betrieb Oberes Elbtal leitet.

An der Großinvestition wird sich die Stadtentwässerung beteiligen, erklärt Strothteicher. Denn das Klärwerk soll nicht nur vor einem 100-jährlichen Hochwasser geschützt werden, das statistisch gesehen alle 100 Jahre kommt, sondern vor einer noch größeren Flut wie 2002.

Nach 2002 war es den Stadtentwässerern aber zu riskant, nur darauf zu warten. Nach Abstimmung mit der LTV kaufte das Unternehmen ein technisches Schutzsystem aus Paletten und Aluträgern, das den Deich zumindest um bis zu einem Dreiviertelmeter erhöht.

Der Härtetest: 2013 zahlt sich Vorsorge aus

„Wir haben aber nicht nur bauliche, sondern auch organisatorische Maßnahmen ergriffen“, sagt der Geschäftsführer. Seit 2007 trifft sich ein Hochwasserstab zweimal jährlich, um die Hochwasserthemen zu besprechen und erforderliche Maßnahmen festzulegen. Außerdem wird alle zwei Jahre das mobile Schutzsystem auf dem Deich am Klärwerk aufgebaut, um den Ernstfall zu üben.

Kurz vor dem Hochwasser 2013 findet wieder so eine planmäßige Aufbau-Übung statt. Die Anlage steht gerade, da kommt die Juni-Flut. Der Deich hält, das neue Johannstädter Flutpumpwerk entlastet die Kanäle. Elf Tage sorgten die Pumpen dafür, dass der Wasserstand im linkselbischen Kanalnetz außerhalb der überfluteten Bereiche konstant gehalten werden konnte. Und das ohne größere Schäden. Denn die beliefen sich bei der Stadtentwässerung 2013 nur auf zwei Millionen Euro.

Wären die Hochwasser-Konzepte nicht umgesetzt worden, hätte die Stadtentwässerung 2013 noch deutlich größere Schäden als 2002 gehabt. Denn 2004 war die rund 60 Millionen Euro teure neue Anlage zur biologischen Abwasserreinigung in Kaditz fertiggestellt worden. Das wertet Strothteicher als großen Erfolg. „Vorsorge lohnt sich auf jeden Fall. Denn niemand kann sagen, wie künftige Hochwasser-Ereignisse sein werden.“

von Peter Hilbert