Teil 31: Abtritte und Latrinengruben
Zu den ältesten Zeugnissen der Dresdner Abwassergeschichte gehören Latrinengruben. Sie prägten über viele Jahrhunderte die Entsorgung menschlicher Exkremente: einerseits als alternativlose Elemente eines bescheidenen Entwässerungskomforts, andererseits als Quell übler Gerüche und Krankheiten. Nicht zu unterschätzen ist ihre Bedeutung als Sammelort wachstumsspendenden Naturdüngers für den Garten- und Feldbau. Im Gegensatz zu einigen Gruben haben die zugehörigen Aborthäuschen die Zeiten genauso wenig überdauert, wie die in Häuser ein- oder daran angebauten Abtritte.
Abtritte
Um das Jahr 1500 zählte Dresden vier- bis fünftausend Einwohner, 22 Gassen und hölzerne, einstöckige Häuser aus Lehm und Pläner. „Auch waren die Häuser nicht dicht aneinandergebaut, sondern es gab leere Plätze, Gärten, Scheunen und Weinberge dazwischen.“ So berichtet es Christian Hasche 1817 in seiner „Diplomatischen Geschichte Dresdens“. Im Jahr 1499, acht Jahre nach dem großen Stadtbrand, erging durch Markgraf Albrecht den Beherzten eine Bauordnung, die u. a. beinhaltete, dass steinerne, ziegelgedeckte Häuser errichtet werden sollen, die über Abtritte verfügen. Offenbar nicht mit durchschlagendem Echo, denn 1568 sah sich der Dresdner Rat erneut genötigt zu befehlen: „Jeder soll in seinem Hause eine Heimlichkeit (Abtritt) bauen, oder man wollte ihm das Haus zumachen.“ Anders als heute, war es damals offenbar noch kein allgemeines Bedürfnis, eine Toilette möglichst nahebei zu wissen … Das Grimm’sche Deutsche Wörterbuch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts führt verschiedene schriftliche Quellen an, um den Begriff „Abtritt“ zu erklären, darunter diese Aussage: „1589 derselbigen gassen jede hat drey oder vier abtritt oder gemeine örter“. Sie passt zum Bild einer dörflichen Stadtstruktur, die auch das Dresden der frühen Neuzeit ausmachte, bald jedoch nicht mehr zur Vision einer repräsentativen Renaissancestadt passte.
Exquisiter Entwässerungskomfort für den Fürstenhof
Als Herzog Moritz die Kurwürde erlangte, veranlasste er ab 1548 die Vergrößerung des Residenzschlosses. In diesem Zusammenhang realisierte man auch modernste Anlagen zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, die der Archäologe Frank Walther im dreibändigen Werk „Das Residenzschloss zu Dresden“ beschreibt. Direkt um das Schloss wurde an drei Seiten ein begehbarer Kanal (DN 900/1500) eingebaut, durchflossen vom Wasser des Kaitzbaches. Angebunden waren zwölf, in die Schlossmauern integrierte Abtrittsschächte, die ihren Anfang in etwa ein Quadratmeter großen Abtrittsräumen im zweiten und dritten Obergeschoss hatten. Dachwasser diente zur Spülung und so schwemmte man die Stoffwechselendprodukte des Hofstaates elegant in Richtung Elbe ab. Dem gemeinen Mann war es bei Strafe verboten, Fäkalien und Abfälle in den die Stadt durchquerenden Kaitzbach oder die auch in dieser Zeit entstehenden ersten städtischen Schleusenkanäle einzuleiten, der Fürstenhof hingegen erfreute sich bereits einer Schwemmkanalisation und war somit seiner Zeit um gut 300 Jahre voraus. Ein tragisches Unglück, wie es sich 1184 am Erfurter Hof zugetragen hatte, als dutzende Teilnehmer eines Treffens mit König Heinrich VI. den Tod in einer unter der morschen Decke befindlichen Abortgrube fanden, war damit ausgeschlossen.
Latrinengruben
Im Stadtzentrum wurden bei Ausgrabungen in großer Zahl Latrinengruben des 13. bis 15. Jahrhunderts gefunden. Die älteren bestanden aus einfachen Bodenvertiefungen oder eckigen Holzkastenkonstruktionen. Ab dem 15. Jahrhundert wurden Pläner und Sandstein, aber auch Backsteine zu runden Schächten verbaut, wie sie z. B. auf der Großen Brüdergasse festgestellt wurden. Das Fassungsvolumen konnte bis in den mittleren zweistelligen Kubikmeter-Bereich gehen. Standard war es, dass Gruben ihren Dienst über lange Zeit versahen und zyklisch entleert wurden, was wegen des dabei entstehenden Gestankes und der Verschmutzung der Straßen durch undichte Fuhrwerke wohl oft das Stadtgespräch dominierte. Der Dresdner Rat versuchte dem Problem 1764 und 1773 mit Verordnungen beizukommen. Zwischen Mai und 14. September wurde das Ausschaffen der Fäkalien gänzlich verboten, was auch mit dem in der Haupt-Vegetationsphase nicht bestehenden Düngebedarf korrespondierte. In den anderen Monaten durfte nur abends und nachts entsorgt werden. Manche Gruben wurden nach Nutzungsende mit Abfällen aufgefüllt und so zu Fund-Gruben für archäologische Ausgrabungen mit Keramikscherben, Porzellan- und Glasbruch oder Tierknochen. Das anaerobe Milieu des Grubeninhalts trug dazu bei, dass auch organische Materialien wie Stoffe oder Leder überdauerten. Gelegentlich wird mit Verweis auf die schlechten hygienischen Verhältnisse im Mittelalter behauptet, dass Fäkalien kurzerhand aus dem Fenster geschüttet worden seien, was ein Bild (Abb. 5) aus dem Zyklus „Das Narrenschiff“ belegen würde. Der zugehörige Text beweist allerdings, dass die dargestellte Szene nicht den normalen Entsorgungsweg von „Kammerlauge“ darstellt. Zu sehen ist die rabiate Abwehrreaktion einer Dame gegenüber aufdringlichen „Gassentretern“. Man darf davon ausgehen, dass so etwas eher die Ausnahme war. So wurden z. B. auch die in Fässern gesammelten Fäkalien des Türmers der Kreuzkirche – gegen ein Entgelt von vier Groschen pro Fass – durch „Stänkerjungen“ ordnungsgemäß entsorgt. Obsolet wurden Plumpsklos und Latrinengruben im Zuge der Einführung von WCs und Schwemmkanalisationen. Dennoch wurden die letzten von ihnen erst nach Ende der DDR im Zuge der Sanierung alter Wohngebäude außer Betrieb genommen.
Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.