Dresdner Kanalisationsgeschichte

Der Artikel als Download

Teil 23: Der Kanalbetrieb bis 1945

Zwei Drittel der Tätigkeiten beim Betrieb der Neuen Kanalisation rankten sich um die Kanalreinigung. Regelmäßig gereinigt werden mussten auch die an den Regenüberläufen angeordneten Grobrechen. Die dafür benutzten Gerätschaften sind auf Abbildung 2 zu sehen: Lampen, Schieberschlüssel und Standrohre für Wasseranschlüsse, Schachthaken, Abdeckgitter und – in der unteren Bildmitte – die mit Schwimmern versehene Einschwimm-Leine zum Einziehen der Seile von mit Handwinden bewegten Reinigungsgeräten. Ein Dokument aus den Jahren 1925/26 lässt uns wissen, dass darüber hinaus auch Arbeiten wie die Spülung von Tagewasserabläufen, das „Öffnen von Heimschleusen“, Wasserlaufüberwachung, Schieberpflege, Geräteverwaltung sowie Schlosser-, Maurer- und Zimmererarbeiten auf dem Programm standen. Außerdem „Arbeiten auf fremde Rechnung“, die z. B. für die städtische Straßenbahngesellschaft ausgeführt wurden. Bei Hochwasser galt es im Auftrag des Rathauses, Notstege zu errichten und somit die Zugänglichkeit überfluteter Liegenschaften für Fußgänger zu ermöglichen. Diese „Notstegerei“ war neben dem elbwasserstandabhängigen Schließen und Wiederöffnen der Hochwasserschieber fest in den Arbeitsplänen verankert.

Kanalinspektion per Spiegel

Das Kanalnetz wurde, mit Ausnahme der mit Kähnen befahrenen Abfangkanäle, damals noch nicht systematisch inspiziert. Es war schließlich noch jung. Trotzdem mussten die Ursachen für Schäden oder Störungen aufgeklärt werden. In kleineren Kanälen erfolgte dies mittels Kanalspiegelung. Abbildung 2 zeigt einen Arbeiter, der mit einer Lampe aus dem benachbarten Schacht herüber leuchtet, während ein weiterer einen zum jeweiligen Kanalprofil passenden Spiegel so positioniert, dass ein dritter sich auf die Sichtung des jeweils anstehenden Problems konzentrieren kann.

Betriebshöfe und Transporte

Tägliche Ausgangs- und Endpunkte der Kanalarbeiten waren die Betriebshöfe der 6 Kanalmeisterbezirke Leuben, Tatzberg, Löbtauer Straße, Lübecker Straße, Liststraße und Loschwitz.  Letzterer befand sich hinter der Feuerwache im Hochwasserbereich der Elbe und bestand aus Aufenthaltsraum, Geräteschuppen und Wagenschauer – allesamt (aus heutiger Sicht) winzige Gelasse. Darüber hinaus gab es weitere Stützpunkte, z. B. am Ballhaus Watzke, auf der Stauffenbergallee, Marienberger Straße sowie an der Weißeritzstraße und am Oberhaupt des Flügelwegdükers.

Kurze Wege mussten gewährleistet werden, denn der Transport der Arbeitsmaterialien zum Arbeitsort und zurück erfolgte per Handwagen und Schubkarre. Für größere Transporte standen Pferdefuhrwerke zu Verfügung, die in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, so kann mit Blick auf andere deutsche Großstädte dieser Zeit zumindest angenommen werden, durch den Einsatz von LKW ergänzt wurden. Handwagen blieben aber bis in die DDR-Zeit als Transportfahrzeuge für Kanal-Kolonnen im Einsatz.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Die tägliche Arbeitszeit betrug 8 Stunden. Regentage wurden als „Ausfalltage“ gezählt. Lohnfortzahlung gab es schon damals u. a. für Betriebsratstage, Arztwege, kleinere Krankheiten, Gerichtssachen und Hochzeiten.

Um die Gefährdungen der Kanalarbeiter zu reduzieren, waren – dem damaligen Stand der Technik entsprechende – technische Geräte am Markt erhältlich. Beispielsweise bot Firma Ernst Petzold Jun. aus Chemnitz Verkehrsabsperrmaterial, Schachtgitter, Kanalbesichtigungswagen, wasserdichte Arbeitskleidung, Gummistiefel, Helme, Segeltuchfauster und Sicherheitsgürtel an. Zu den Sicherheitslampen zur Explosionsvermeidung heißt es in einem Firmenprospekt, dass man an der Flamme erkennen könne, ob die Kanalatmosphäre in Ordnung sei. „Sind explosive Gase vorhanden, so werden diese nicht nur durch das Hochsteigen der Flamme angezeigt, sondern auch durch Erglühen eines über der Flamme eingestellten Metallstrumpfes… Sind Kohlenoxyde vorhanden, so verkleinert sich die Flamme und erlischt infolge Mangels an Sauerstoff“ – Auffassungen zur Arbeitssicherheit aus den 30er Jahren.

Kanalnetzlänge und Mitarbeiterzahlen

Im Jahr 1914 hatte das Dresdner Kanalnetz eine Länge von 465 Kilometern und wuchs in den darauffolgenden Jahren nur langsam. Mit den Eingemeindungen 1921 kamen 160 Kilometer hinzu. Es folgte – bis zum Beginn des 2. Weltkrieges – eine Phase stetigen Wachstums. Das Kanalnetz erreichte eine Länge von 845 Kilometern, wobei 40 Freitaler Kilometer ab 1936 dazugerechnet wurden.

Im Jahre 1914 waren 156 Arbeiter beschäftigt. Während der beiden Weltkriege gab es jeweils drastische Rückgänge der Beschäftigtenzahlen. Aber auch in der Zwischenkriegszeit war ein fallender Trend zu verzeichnen, sodass z. B. 1938 fast 20 Prozent weniger Arbeiter als 1919 angestellt waren. 1914 hatte ein Arbeiter 3 Kilometer Netz zu betreuen, 1945 waren es schon 16 Kilometer. Zur Orientierung: Heute bewirtschaften etwa 67 gewerbliche Mitarbeiter ca. 1750 Kilometer Freigefällenetz. Auf jeden Arbeiter fallen somit 26 Kilometer. Ein exakter Vergleich mit der damaligen Situation ist allerdings nicht möglich, da seitdem u. a. eine Vielzahl von Sonderbauwerken errichtet wurden und sich damit die Aufgaben deutlich veränderten.

Als Hauptgrund für die fallende Tendenz darf die auf den über die Jahre gesammelten Betriebserfahrungen basierende Erkenntnis vermutet werden, wonach auch mit einem geringeren Personalaufwand ein stabiler Kanal möglich ist. Beschleunigt wurde dieser Wandel wohl auch durch kriegsbedingte Arbeitskräfteknappheit und unattraktive Rahmenbedingungen – schwere Arbeit bei geringer Entlohnung. Die Vorkriegsbeschäftigungsniveaus wurden sowohl nach dem Ersten als auch dem Zweiten Weltkrieg nicht annähernd wieder erreicht.

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.