Dresdner Kanalisationsgeschichte

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Teil 27: Das Kanalnetz in der Nachwendezeit (I)

Im Jahre 1985 hatte das Dresdner Stadtbauamt eine Wohnraum­ analyse durchgeführt, die auch die sanitäre Ausstattung umfass­ te. In den Stadtteilen Pieschen, Äußere Neustadt, Hechtviertel, Löbtau, Cotta und Naußlitz lagen die Ausstattungsgrade mit In­ nen­WCs unter 30 Prozent (!). Einige Gebäude verfügten trotz An­ schlusses an die Schwemmkanalisation noch über Abortgruben. Dies änderte sich nach der Wende relativ schnell. Viele Häuser wurden instandgesetzt und mit modernen Sanitäranlagen ausge­ stattet.

Von Investoren entwickelte neue Wohngebiete schossen wie Pilze aus dem Boden, insbesondere auch in den Gemeinden des da­ maligen Speckgürtels der Stadt. Zur Infrastruktur dieser Siedlun­ gen gehörten selbstverständlich auch Abwasseranlagen in Form von Kanalisationen, Pump­ und Kläranlagen und Regenbecken. Sie sollten später im Zuge der Eingemeindungen 1999/2000 Be­ standteile des Dresdner Entwässerungssystems werden.

Der ehemalige VEB WAB Dresden war nach 1989 in eine GmbH umgewandelt worden, die gleich darauf wieder liquidiert werden sollte (GmbH i. L.). 1993 ging daraus die Dresden Wasser und Abwasser GmbH (DWA) hervor, die bis 1997 bestand. Mit der Formierung der zu 100 Prozent städtischen DWA GmbH gingen strukturelle und personelle Veränderungen einher, vor allem aber auch größere städtische Investitionsvorhaben in die Abwasser­ infrastruktur. Schwerpunkt war zunächst die nachträgliche Er­ schließung bestehender Siedlungsbereiche bzw. ganzer Stadttei­ le, vor allem entlang des Elbhanges.

Kanäle zwischen Wachwitz und Söbrigen und im Dresdner Norden

Nachdem 1994 mit dem Bau des Wachwitzer Dükers ein An­ schluss an den Altstädter Abfangkanal geschaffen war, erfolgte in den Folgejahren die abwassertechnische Erschließung der Orts­ teile Wachwitz, Niederpoyritz, Hosterwitz und Pillnitz, desgleichen in Borsberg, Oberpoyritz und Söbrigen. Letztere Ortsteile wurden über das zu Pirna gehörende Birkwitz entwässert. Nach der Ein­ gemeindung Schönfeld­Weißigs im Jahre 2000 kam das gesamte Hochland mit einer Vielzahl von Abwasserpumpwerken hinzu. Die dort nach der Wende errichteten Kläranlagen wurden mit Ausnah­ me der Anlage in Eschdorf nach und nach alle durch Überpump­ werke ersetzt.

Im Dresdner Norden siedelte sich die amerikanische Firma AMD an, für die neben der Errichtung eines Großpumpwerkes mit Druckleitungen auch die Kanalisation der Hellerstraße und Ra­ deburger Straße erweitert werden musste. 1994 wurde von der Firma Siemens ein erstes Halbleiterwerk an der Königsbrücker Straße errichtet, welches heute zu Infineon gehört. Dafür wurde ebenfalls die Kanalisation ausgebaut.

Die zu DDR­Zeiten unvollendet gebliebene Entwässerung des Plattenbaugebietes Selliner Straße und ihres Umfeldes wurde mit einem ersten, im Rohrvortriebsverfahren realisierten Kanalbau­ vorhaben über die Langebrücker Straße und entlang der Bahn­ strecke umgesetzt. Es entstanden dabei auch Regenklärbecken und ein Ableitungskanal zur Prießnitz, außerdem eine Fäkalienan­ nahmestation für die damals noch große Menge an Schlämmen aus Kleinkläranlagen bzw. für Abwasser aus – oft übergangsweise errichteten – abflusslosen Sammelgruben. Die Station bestand aus einer Fäkalannahmestation der Firma Huber und einem Sta­ pelbehälter. Sie war bis 2006 in Betrieb.

Erste unterirdische Regenbecken und der Luftkissendüker

Auch um den Hauptbahnhof tat sich einiges. Für einen Straßen­ tunnel und Tiefgaragen mussten 1998 zwei Hauptkanäle der Alten Kanalisation weichen: die alte (von 1869) auf der Prager Straße und die neue (von 1887/88) Südvorstadtschleuse auf dem Wie­ ner Platz bzw. der Reitbahnstraße. Als technische Lösung für die Kreuzung von Verkehrsanlage und dem begehbaren Abwasserka­ nal wurde eine Kombination von klassischem und Luftkissendü­ ker gewählt und realisiert – ein Bauwerk mit Seltenheitswert in Europa, was sich aber seitdem im Betrieb gut bewährt.

In Nickern und Coschütz­Gittersee entstanden Gewerbegebiete mit Trenn­ und Mischkanalisationen. Ein Novum stellte auch das durch einen Investor in Prohlis in diesem Zusammenhang errich­ tete unterirdische Regenklär­ und Rückhaltebecken mit 4500 Kubikmetern Nutzvolumen dar. Bislang gab es in diesen Dimensi­ onen nichts Vergleichbares im Dresdner Kanalnetz.

Schieber, SPS und Leitsystem

Die für den Hochwasserschutz und Netzbetrieb so wichtigen Schieber und Rückstauklappen waren meist in einem desolaten Zustand, zumindest aber hochgradig undicht und technisch ver­ altet. Gleich nach seinem Wechsel von der Abteilung Berufsaus­ bildung zum Kanalnetzbetrieb begann Thomas Würfel mit der Mo­ dernisierung dieser Anlagen. Bis zum Jahr 2000 wurden etwa 100 Absperrorgane ausgebaut und durch neue ersetzt. Bei Hochwas­ serschiebern, die bei erhöhtem Elbewasserstand geschlossen werden müssen, erfolgte auch deren Automatisierung. Elektro­ und Datenkabelanschlüsse, Ultraschall­Wasserstandsmesser und speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) ermöglichten von diesem Zeitpunkt an ein automatisches Schließen und Öff­ nen, welches vom Personal der Zentralen Warte auf der KA Kaditz mittels des durch die Leittechnik­Ingenieure Jens Waldinger und Andreas Jacobs sukzessive ausgebauten Kanalnetzleitsystems überwacht werden konnte. Entstanden war es zur Fernüberwa­ chung des 1995 anstelle der ehemaligen Emscherbrunnen­ Kläranlage Stetzsch errichteten ersten Abwasserpumpwerkes im Dresdner Kanalnetz.

1994 wurde mit dem Drehbogen, errichtet mit Fördermitteln der Bundesumweltstiftung in Osnabrück und starkem persönlichen Engagement des Patentinhabers Günter Kupczik aus Hamburg, das erste Steuerbauwerk der zu diesem Zeitpunkt noch nicht fer­tig konzipierten Dresdner Real­-Time-­Control-­Kanalnetzsteuerung eingeweiht. Es folgten aber bald darauf weitere Steuerbauwerke.

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.