Dresdner Kanalisationsgeschichte


Teil 11: Die Anfänge der neuen Kanalisation

Die deutsche Wirtschaft erlebte nach der 1871 erfolgten Gründung des Deutschen Kaiserreichs einen gewaltigen Aufschwung. Ihr Anteil an der Weltindustrieproduktion steigerte sich von 4,9 Prozent in den 1860er Jahren bis auf 14,8 Prozent im Jahr 1913. Deutschland stieg damit auf den zweiten Platz hinter den USA (32 Prozent) auf. Auch Dresden spielte in diesem Entwicklungsprozess eine gewichtige Rolle.

Die Stadtplanung schuf die nötigen infrastrukturellen Voraussetzungen, z. B. durch die Ausweisung von Fabrikbezirken entlang der Schienenwege und der Elbe. So entstanden 1874 die pharmazeutische Firma Heyden, 1888 das Lingnerwerk und 1889 die Ernemann-Kamera- Produktion. Über die Produktion der Dresdner Gießereien ist ja bereits an dieser Stelle berichtet worden. Bereits im Jahre 1852 hatte Dresden als vierte deutsche Stadt nach Berlin, Hamburg und Breslau die 100.000-Einwohner-Grenze überschritten und wurde zur Großstadt.

Der Einwohnerzuwachs in und um Dresden hielt auch in den nächsten Jahrzehnten weiter an und basierte vor allem auf Zuzug. Es herrschte Wohnungsnot. In den 1890er Jahren wurden die bislang selbstständigen Gemeinden Strehlen und Striesen, später noch Pieschen, Trachenberge, Hellerberge und der Albertpark mit insgesamt knapp 160.000 Menschen eingemeindet, was eine gewaltige Herausforderungen für die Stadt- und Infrastrukturplanung bedeutete. Die Hoyerswerdaer, Tieck- und Melanchtonstraße wurden angelegt.

Die Grunaer und Schweriner Straße bildeten Haupterschließungsachsen für die Pirnaische und Wilsdruffer Vorstadt. Zwischen der Antonstadt und Pirnaischen Vorstadt wurde mit dem Bau der Albertbrücke eine dritte Elbquerung geschaffen. Die Schiffbarkeit der Elbe wurde verbessert und zwischen 1874 und 1879 erfolgte der Ausbau der linkselbigen Uferbefestigungen (siehe Folgeseite oben links). Dabei wurde auch dafür gesorgt, dass die bisher über die Uferböschungen laufenden Abwässer bis direkt in die Elbe geführt werden – zumindest ein kleiner Fortschritt. Überfällig war aber nicht weniger als ein Paradigmenwechsel im Abwassersektor.

Neustrukturierung des Dresdner Tiefbauwesens

Die Dresdner Stadtoberen waren sich der Notwendigkeit eines Umdenkens bewusst geworden und ab 1889 wurde das Tiefbauwesen durch ein eigenständiges Amt gesteuert. Unter seinem neuen Leiter, Stadtbaurat Carl Otto Hermann Simson Klette (1847 bis 1909), wurde es organisatorisch neu ausgerichtet. Mit der Berufung zum Stadtbaurat erhielt Klette auch einen Sitz im Stadtrat. Für die Belange der Kanalisation wurde eine eigene technische Abteilung geschaffen.

Bestandsaufnahme und Kritik am Bisherigen

Wie schon sein Vorgänger Mank führte auch Klette zunächst eine Bestandsaufnahme durch. Er ließ alle vorhandenen Kanäle erfassen. Klette konstatierte neben zu geringen Bemessungsansätzen – die seit 1885 auf dem Städtischen Bauhof durchgeführten Regenmessungen zeigten, dass die bisherigen Bemessungsansätze unzureichend waren – eine „große Regellosigkeit“ der vorhandenen Kanalprofile.

Heute ist allerdings bekannt, dass sich Klettes Rückschau auf über 400 Jahre Schleusenbautätigkeit erstreckte und die festgestellten Unzulänglichkeiten nicht allein seinem Vorgänger anzulasten waren. Das betrifft auch die 1906 in der Deutschen Bauzeitung im Sinne einer neuen Erkenntnis dargestellten Vorteile des Eiprofils – Mank hatte diese Profilform bereits seit den 1870er Jahren zur Regel für Sammelkanäle erhoben. In wesentlichen Punkten war Klettes Kritik an seinem Vorgänger hingegen berechtigt.

Der Bau einer Schwemmkanalisation war viel zu lange blockiert worden. Dabei waren Schwemmkanalisationen vielerorts bereits seit Jahren Standard – in Hamburg seit 1842, in Frankfurt/Main seit 1867 und in Danzig, der ersten Stadt auf dem europäischen Festland mit einer Kläranlage, seit 1872. Klette stellte zudem fest, dass entlang der Elbe viel zu viele rückstaubehaftete Tiefpunkte (23 Stück) bestanden.

In Bezug auf das von Mank entwickelte Druckentwässerungssystem (siehe Teil 10) zeigte er sich erleichtert, dass es nicht zur Ausführung gekommen war. Die anstehende Einwohnerentwicklung wäre damit nicht zu bewältigen gewesen.

Ungeklärte Reststoffproblematik

Die durch die neue Bauordnung in Dresden seit 1878 offiziell möglich gewordene Einführung von WCs konnte mangels einer geeigneten Kanalisation zunächst noch nicht richtig beginnen und erstreckte sich später über viele Jahrzehnte. Demzufolge war die Verwendung von Trockentoiletten und Fäkaliengruben noch lange Zeit üblich – die mutmaßlich letzten ihrer Art wurden noch in den 1990er Jahren aufgefunden!

Üblich war die Verbringung der Grubeninhalte in der Landwirtschaft. Durch die wachsende Stadt waren aber immer längere Wege notwendig, und auch der eingerichtete Bahntransport in entferntere Gegenden konnte die immer weiter ansteigenden Fäkalienmengen nicht bewältigen. Zudem bestand der landwirtschaftliche Bedarf nur zu Zeiten der Feldbestellung im Frühjahr und Herbst, in den übrigen Zeiten wurden zwei Speicher in Klotzsche und Mickten betrieben.

Die Absatzmöglichkeiten für den dort entwässerten Schlamm wurden wegen seines geringeren Düngewertes aber zunehmend schlechter. Klette beschreibt in seinem Artikel in der Bauzeitung, dass „die mit den unverwertbaren Mengen angefüllten Transportwagen unmittelbar in die Elbe“ entleert wurden. Ironisch konstatiert er: „So wird in Dresden tatsächlich schon seit Jahren abgeschwemmt, freilich nicht einwandfrei und nicht auf geordnetem Wege!“

Unterstützung aus der Politik

Ob Mank während seines Wirkens durch die Stadtpolitik bestärkt oder eher gebremst wurde, ist noch nicht erforscht. Bei Klette jedenfalls war es der Fall: Der Vorsteher der Stadtverordneten, Dr. Georg Stöckel, wies immer wieder öffentlich auf die Annehmlichkeiten und gesundheitliche Vorteile bei der allgemeinen Einführung der Wasserklosetts hin.

Auch Oberbürgermeister Otto Beutler unterstütze Klettes technische Reformen und auf der Stadtratssitzung am 13. Dezember 1894 erfolgte ein Votum zur beschleunigten Einführung des Schwemmsystems, wenn auch zunächst nur in Teilstrecken. In einer weiteren Stadtratssitzung am 13. August 1895 wurde der vorher notwendige Umbau der Schleusen beschlossen. Der Stadtrat nahm zur Kenntnis, dass damit außergewöhnliche, erhebliche Kosten verbunden sein würden.  

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.