Dresdner Kanalisationsgeschichte


Teil 16: Kaskel Mendels Fäkalienabfuhrunternehmen und die spätere Dünger-Export-Gesellschaft

Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich in Dresden ein zunehmend geordnetes Fäkalientransport- und verwertungssystem. Nachdem in der letzten KLARO die „Sächsische Guanofabrik“ vorgestellt wurde, steht diesmal deren Konkurrenz im Mittelpunkt, der „Actienverein für Düngerexport“. Seit 1864 war Kaskel Mendel Pächter und Direktor des Unternehmens. Auf dessen Firmengelände etablierte sich später die weit über Dresden hinaus tätige „Dünger-Export-Gesellschaft“.

Fäkalienmanagement am Tatzberg

Ab 1864 erfolgte der Transport der rechts- und linkselbisch gesammelten Fäkalien durch den Actienverein für Düngerexport hin zum Ablagerungsplatz am Tatzberg, gelegen am Rand des Blasewitzer Tännichts. Ge­ruchs­be­schwer­den waren von dort zunächst nicht zu erwarten, denn in der Nachbarschaft befanden sich neben Wald nur Friedhöfe sowie einige chemische Fabriken, was sich später allerdings änderte. Die Latrineninhalte wurden zum Abtrocknen in vier Fuß tiefe Bassins geschüttet, die mit man in niedriger gelegenen Becken. Sowohl die flüssigen als auch die abgetrockneten Fäkalien wurden an Bauern verkauft. Ein Ei- mer kostete 0,6 Silbergroschen. Ein geringer Teil der eingedickten Masse wurde im Sommer, mit Schwefelsäure versetzt, in einem Schuppen, dessen Boden aus Gaskalk bestand, ausgebreitet und weiter getrocknet. Im Winter erfolgte die Trocknung mit einem Ofen. Die getrocknete Masse wurde mit Schlägeln pulverisiert, gesiebt, in Säcke oder (billige) Heringstonnen verpackt und pro Zentner für 1 bis 1 ¼ Taler verkauft. Offenbar ein einträgliches Geschäft, welches Kaskel Mendel (1812–1870), Mitglied der jüdischen Gemeinde, zusätzlich zu seinem Fuhrunternehmen betrieb. Er war außerdem Vorsitzender des Dresdner Droschken- und Fiaker-Besitzer-Vereins sowie Mitglied in der Privilegierten Bogenschützengesellschaft.

Die Dresdner Dünger-Export-Gesellschaft

Nach Mendels Tod bereitete die Stadt 1871 die (Neu-)Gründung der Dünger-Export-Gesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft vor. Um Hausbesitzern und anderen Anlegern, wie schon für die Guanofabrik praktiziert, eine Beteiligung zu ermöglichen, wurde das Aktienpaket stark gestückelt und 5.000 Aktien zu je zehn Talern ausgegeben. 1873 wurde die Gründung vollzogen. 1875 erweiterte der Stadtrat den Vertrag, der dann bis zum 31.12.1890 galt. Ab 1891 übertrug die Stadt Dresden der Dünger-Export-Gesellschaft die alleinige Verantwortung über die Fäkalienentsorgung aus über 9.000 Gruben der nicht kanalisierten Grundstücke 

sowie die Stadtreinigung im Stadtgebiet. Die Gesellschaft nutzte dazu die Grundstücke auf dem Tatzberg 25 bis 27 und somit einen kleinen Teil des ehemaligen Mendelschen Betriebsgeländes. Es gab ausgedehnte Stallungen für über 100 Pferde sowie Remisen für 60 Jauchewagen, 1.800 Fässer á 200 Liter, sieben Jauchepumpen, drei Luftpumpapparate sowie 400 Meter Gummischläuche in Zwölf-Meter-Stücken.

Fäkalientransport per Bahn

Ein interessanter Aspekt dieses Kapitels der Dresdner Abwassergeschichte ist auch der durch die Dünger-Export-Gesellschaft veranlasste Fäkalientransport per Eisenbahn. Die gesammelten Fäkalien wurden dazu per Fuhrwerk in am Stadtrand gelegene Abfüllstationen gebracht, in Latrinenwaggons gepumpt, zu betonierten Sammelgruben in ländlichen Bereichen befördert und an Landwirte verkauft. Züge mit Fäkalienkesselwagen fuhren bis nach Schlesien.

Es gab drei Kategorien von Latrinenwaggons: Fass- oder Bottichwagen (mit hölzernen Aufbauten), Tankwagen (mit stählernen Behältern) und offene Wagen. Die Dünger-Export-Gesellschaft hatte bei der Königlich Sächsischen Staatseisenbahn bis zu zwölf solcher Spezial-Waggons eingestellt. Ein Teil von ihnen wurde zwischen 1876 und 1878 von der Firma „Saxonia“ in Radeberg gebaut, andere in Görlitz (siehe Abbildung oben). In Klotzsche wurden anfangs Kesselaufsätze – ähnlich heutigen Containern – auf Schmalspurwagen Richtung Königsbrück umgeladen. 1897 war die Schmalspurstrecke dann auf Normalspur umgebaut und das Umladen entfiel.

Auch der „Lößnitzdackel“ transportierte bis um 1930 Fäkalien für die Dünger-Export-Gesellschaft mit schmalspurigen Kesselwagen, die in Radebeul-Ost auf Normalspur umgesetzt wurden. Selbst die 1895 eröffnete Standseilbahn vom Körnerplatz nach Oberloschwitz führte in den ersten fünf Betriebsjahren im Rahmen des Güterverkehrs talwärts auch Fäkalientransporte durch, wobei diese wegen der damit verbundenen Geruchsbelästigungen nur nachts erlaubt waren.

Das Ende der Abfuhr in großem Stil

Auch in späteren Jahren gab es weiterhin Versuche, Fäkalien zu Dünger (und Geld!) zu veredeln. So wurde z. B. 1881/82 eine Poudrettefabrik gegründet, die durch Fällen mit Kieselsäure und Kalk eine sogenannte Kieselsäure-Poudrette herstellte. Diese Fabrik bestand allerdings nicht lange.

1934 fassten Brix, Imhoff und Weldert in ihrem Werk „Die Stadtentwässerung in Deutschland“ die Entwicklung wie folgt zusammen: „… Mit dem schnellen Anwachsen der Stadt konnte die Abfuhr nicht schritthalten, sodass Kotstoffe mit in die Kanäle entleert werden mussten. Da die Landwirtschaft nicht alle abgefahrenen Mengen aufnehmen konnte, …, musste die Dünger- Export-Gesellschaft im Jahre 1894 mit dem Antrag kommen, ihr zu gestatten, die abgefahrenen Kotstoffe (bei Cotta) in die Elbe zu schütten. Dem Antrag wurde zunächst in den Nachtstunden stattgegeben, dann von 1896 an von Dezember bis Februar auch während der Tagesstunden. Diese Zustände konnten nicht bestehen bleiben.“

Aber zu diesem Zeitpunkt waren der Bau der Abfangkanäle und die Planungen für den Bau einer Kläranlage ja bereits im Gange. Die Notwendigkeit der Fäkalienabfuhr ist uns gleichwohl bis in die heutige Zeit erhalten geblieben – allerdings nur für etwas mehr als 100 Gruben von peripher gelegenen Wohngrundstücken.

Autor: Frank Männig, Stadtentwässerung Dresden GmbH, wird fortgesetzt.